Der heutige Nachtrag wurde so ausführlich, dass ich einen eigenen Post daraus machte. Zumal er meines Erachtens wichtige Gedanken enthält…
Nachtrag: Bevor ich den Barbershop betrat, passierte uns ein Obdachloser. Der Barber sprühte ihm etwas nach. Es war nur Wasser. Aber es war auch klar: er hat wenig Verständnis dafür. Vor allem bei jungen Menschen wie er im Gespräch später betonte. Das ist vielleicht auch ein wichtiger Unterschied zwischen USA und Europa. Die USA sind in vielem nicht liberaler als Europa, in nicht wenigen Bereichen stehen sie sogar weiter links. Gerade Stichworte affirmative action oder political correctness. Heute im TV: der wirklich geschmacklose Comedian, der Trump im Madison Square Garden begleitet hat habe das „C-Word“ gesagt. Vielleicht war es auch nicht „C“. Ich schüttle wie viele Amerikaner nur den Kopf. Wortmagie. Lasst mich doch sagen, was ich denke. Zudem ist hier ist hier extrem viel reguliert. Nichts von libertärem Staat, wo alles erlaubt ist.
Aber der Glaube an die Eigenverantwortung ist definitiv stärker ausgeprägt als in Europa. Und das Mitleid mit den Obdachlosen hält sich in Grenzen. Was ich durchaus nachvollziehen kann. Nach ein paar Tagen in Äthiopien hatte ich einfach genug vor der Armut. Und in mir dachte es „eure Armut kotzt mich an“. Es härtet ab. Wenn man permanent mit Armut und Elend konfrontiert wird will man sie einfach nur noch ignorieren. Und der menschliche Geist ist gut darin, dies zu erreichen. Man härtet ab. Sorry für die Wiederholung.
Ich hatte mein Ebike mehrere Nächte in der Stadt abgestellt und war neugierig, ob irgendetwas geklaut würde. Sattel. Handyhalterung. Nichts. Respektive doch: die Gummiummantelung an meinem Veloschloss. Was überhaupt keinen Sinn ergab. Als ich das im Veloshop erwähnte war die Reaktion ein Augenverdrehen. Klar. Die stehlen wie die Elstern. Und wer „die“ ist, ist ja wohl klar. Wo ich eher überrascht war, dass eben eigentlich nichts geklaut wurde, dass mir weiterhin bis auf dieses Gummiteil in all meinen Reisen ausserhalb Europas nichts geklaut wurde. Nichts. Oder ich erinnere mich zumindest nicht mehr daran. In Griechenland ein Ausweis, in Frankreich das Portemonnaie, in der Schweiz das Handy. Ausserhalb Europas: nichts. Oder ich habe es verdrängt.
Eigenverantwortung und wenig Mitleid. Wer von Social Security lebt betrügt die Gesellschaft. Solche Gedanken wurden mir Anfang der 90er Jahre oftmals genannt. Auch von politisch links stehenden Menschen. Jeder muss es selber schaffen. Und wenn nicht, dann ist es definitiv nicht Aufgabe des Staates, zu helfen, sondern von Privaten wie Kirchen. Ich finde es richtig anstrengend, dass man überall „tippen“ muss. Letzthin in einem Restaurant, wo alles Selbstbedienung war. Warum soll ich hier einen Tip hinzufügen? Wem kommt der zugute? Mich hat ja niemand bedient! Als ich dann aber den Tip in einem Subway verweigerte, war die Enttäuschung riesig. Denn sie hatte doch einen guten Job gemacht (hatte sie). Für den Lohn muss man auch etwas leisten. Eigenverantwortung.
Doch es geht nicht nur um Tips, sondern oftmals wird man auch noch gefragt, ob man auf den nächsten Dollar aufrunden möchte für einen guten Zweck. Nein, verdammt, sagt meine europäische Seele. Ich will nur einen Burger oder einen Milkshake oder was weiss denn ich kaufen. Mit möglichst wenig Klicks. Und ja, sogar für mich als Schweizer sind die Preise schon ohne dieser Addons hoch genug… Wenn man aber der Ansicht ist, dass solche Dinge nicht Aufgabe des Staates sind und man lieber tiefe Steuern hat, dafür Private unterstützt, dann ergibt das durchaus Sinn.
Und ja, gerade in den konservativen „roten“ Staaten ist die Gastfreundschaft, ist die Hilfsbereitschaft oft ganz besonders ausgeprägt. Man verlässt sich nicht auf den Staat, sondern aufeinander. Man hilft, zumindest wenn man der Ansicht ist, dass die Person wirklich in Not ist. Und nicht einfach „schmarotzen“ möchte.
Eine solche Gastfreundschaft ist typisch für konservative Gesellschaften. Gerade in den Bergen (wie beispielsweise in Afghanistan) oder in abgelegenen Gebieten wie den Weiten des amerikanischen Midwest. Man ist auf Hilfe angewiesen und diese soll nicht vom Staat ausgehen (oder geht nicht von diesem aus). Aber diese Gastfreundschaft oder Hilfsbereitschaft darf nicht ausgenutzt werden. Sonst dreht sich der Wind sehr rasch.
Es geht auch um (christliche) Religion. In Europa ist mehr der Gedanke der Nächstenliebe prägend. Hilfe deinem Nächsten (oder auch nicht nur Nächsten). Der Schwache, Benachteiligte muss unbedingt und bedingungslos unterstützt werden. Darauf baut der europäische Sozialstaat auf, der auch ausgenutzt wird. Und darauf baut spannenderweise auch die „woke“ Linke in den USA auf. In den USA ist aber ein anderer christlicher Gedanke prägend: der Calvinismus. Im Calvinismus wird Erfolg als Zeichen Gottes gedeutet. Wer Erfolg hat, kommt in den Himmel. Wer keinen Erfolg hat – nicht. Was einen starken Druck erzeugt, erfolgreich zu sein. Und wenn man doch mal scheitert wieder aufzustehen und es nochmals zu probieren. Denn gibt man auf, ist man definitiv nicht erfolgreich, dann ist das ein Zeichen dafür, dass man nicht in den Himmel kommt, respektive eh in der Hölle landet. Obdachlose, die nicht kämpfen landen diesem Gedanken gemäss eh in der Hölle und es lohnt sich nicht, ihnen in dieser Welt zu helfen. Ausser die Person kann wirklich nichts dafür, nicht erfolgreich zu sein. Zum Beispiel wegen einer Behinderung.
Dieses calvinistische Denken kontrastiert wiederum mit dem Glauben an einen Erlöser. An einen Trump, der den „Deep State“ eliminiert. Wo man die Eigenverantwortung dann doch wieder abgeben kann. Und ja, das erfüllt mich mit Sorgen. Meine Prognose, dass Kamala Harris klar gewinnen müsste ist wohl hinfällig. Und Trump ist eine Bedrohung für Amerika wie auch für die Welt. Unberechenbar, aber wie man in letzter Zeit auch lesen kann immer wirrer, unklarer. Starrsinnige Alte, die nicht einsehen, dass ihre Zeit vorbei ist und die zuviel Macht haben – eine unschöne Aussicht.
Kurzer Nachtrag: Auf dem grossen Fernseher läuft grad Britney Spears. Im Antelope Canyon. Mit Wasser. Das ist gefährlich!!! Aber schöne Landschaften…