Zum Inhalt springen

Tag 108 Mauer

In der Pizzeria gleich neben dem Hotel haben sie wirklich richtig gute Pizza. Für meinen Geschmack. Was nicht wirklich üblich ist. Ich warte und warte, 4 Angestellte im Laden, alle ignorieren mich aktiv. Sind am Aufräumen. Wollen keine neue Kundschaft. Dabei hätte ich auch eines der 4 Stücke Margherita genommen, die schon bereit sind. Irgendwann habe ich keine Geduld mehr und gehe. In der Bar gleich daneben bestelle ich ein Bier. Es hat vielleicht 20 Zapfhähne am Tresen, funktionieren tun die meisten nicht. Bin auch der einzige Gast. Im wirklich coolen Hostel/Hotel daneben bin ich auch mehr oder weniger der einzige Gast, scheint nicht so zu laufen hier. Und doch, das Zentrum von El Paso ist sehr modern, ziemlich hip, teure und elegante Restaurants, gut besucht, einige Museen. Und mehr Harris Schilder als Trump, Regenbögen auf den Trottoirs. Was mich dann doch wieder erstaunt. Denn eigentlich bin ich doch im tiefsten Texas und vor allem: direkt an der Grenze.

Drei Brücken führen nach Mexiko. 2019 hatte ich die Ausreise gewagt, ein spannendes Erlebnis. Heute habe ich keine Lust für ein paar Stunden das Land zu wechseln, Grenzen überqueren ist anstrengend. Stattdessen geniesse ich am Morgen die Sonne in einem Park und als allmählich Wolken aufziehen fahre ich an eine Stelle, wo man laut App den Rio Grande sehen könnte. Auf der amerikanischen Seite führen mehrere Strassen inklusive Highway dem schmalen Fluss entlang, dazu eine Eisenbahnlinie und – eine Mauer. Vom Fluss kriege ich vorerst nichts zu sehen, aber immerhin sieht man Mexiko auf der anderen Seite.

Immigration ist eines der entscheidenden Themen bei dieser Wahl. Und das nicht nur in den USA, auch in Europa lassen sich damit Wahlen gewinnen. Ein schwieriges Thema. 2016 gewann Trump die Wahl unter anderem damit. Er baue eine Mauer. Und die Gegenseite echauffierte sich darüber. Eine Mauer bringe eh nichts. Purer Populismus. Populismus war es. Vermutlich eine Mehrheit der Amerikaner fand die Idee gut. Oder zumindest genügend Menschen, um Trump trotz seiner vielen negativen Aspekte zu wählen. Und das macht Populismus ja aus. Dass ein „Führer“ Stimmungen im Volk aufnimmt. Trump merkte rasch, dass sein Versprechen eine Mauer zu bauen ihm Stimmen brachte. Also machte er es zum Schwerpunkt seiner Wahlkampagne. Nicht, weil es ihm ein Anliegen war. Sondern weil er spürte, dass seine Wähler das wollten. Die Grenzanlage wurde unter Trump nur bedingt weiter ausgebaut. Aber er setzte sich dafür ein, was von seinen Wählern wahrgenommen und prestigiert wurde.

Ich argumentierte auch im Unterricht gegen diese Mauer. Bis mich ein Schüler etwas gehemmt, unsicher, aber auch wütend fragte, warum denn diese Mauer einfach eine doofe Idee sei. Ich weiss nicht mehr wie er es formuliert hatte und meine Entgegnung war sicher nicht schlecht, aber genau in dem Moment wurde ich mir meiner Blase bewusst: in Medien, in meinem sozialen Umfeld wurde die Mauer-Idee stets lächerlich gemacht. Ich hatte das übernommen, aber eigentlich funktioniert eine Mauer durchaus. Natürlich. Eine Mauer macht es schwerer in die USA zu gelangen. Argumente wie, aber die schaffen es ja doch, es ist nur Symptombekämpfung, das Problem wird dadurch nicht gelöst etc., die ich auch intus hatte sind ja nicht falsch, aber eine Mauer macht es schwieriger in die USA zu gelangen. Man kann das gut finden, man kann das falsch finden, aber es ist eine Möglichkeit, um illegale Einwanderung zu erschweren. Vor allem aber war es ein Bild, das Trump vermittelte: er wird die Immigration stoppen. Das war sein Wahlversprechen. Und eine solche Mauer existiert. Nicht durchgehend und oftmals mehr ein Zaun. Grösstenteils nicht in Trumps Amtszeit erstellt. Aber eine Grenzanlage existiert und ist definitiv nicht völlig wirkungslos. Ob sie sinnvoll ist? Ich weiss es nicht.

Im Bereich der Stadt El Paso ist der Zaun hoch, aber nicht wirklich gut gesichert. Weil hier wohl Kameras laufen und Grenzpatroullien vor Ort sind. Etwas ausserhalb aber existiert eine richtige Grenzanlage. Zwischen Mexiko und den USA liegt erst der Rio Grande. Der grad kaum Wasser führt und besser Rio Pequeno heissen würde. Dann folgt eine erste Rolle Natodraht. Dann eine zweite und der Zaun mit weiterem Natodraht oben drauf. An einem Teilstück finde ich Kleidungsstücke, die darauf hinweisen, dass Menschen trotzdem versucht haben, den Zaun zu überwinden. Mit oder ohne Erfolg, weiss ich natürlich nicht.

Der Zaun macht die illegale Einreise in die USA nicht unmöglich. Dazu ist die Grenze zu lang und unübersichtlich. Aber er macht sie schwieriger. Aufwändiger. Wiederum. Das kann man gut finden oder nicht. Aber der Zaun ist nicht einfach zwecklos. Und ich glaube es ist genau diese Doppelmoral, die viele Menschen Trump wählen lassen. Viele Menschen in den USA wünschen sich weniger (illegale) Immigration. Den Demokraten werfen sie vor, zu wenig dagegen zu unternehmen und sich stattdessen mit irgendwelchen Randthemen wie Transgenderrechten zu beschäftigen. Trump hingegen verspricht, sich der Sache anzunehmen. Je länger je mehr mit rassistischem, protofaschistischem Vokabular, aber er verspricht, etwas zu unternehmen. Und die Demokraten träumen davon, demnächst alle Menschen erst mit „they“ anzusprechen, solange man nicht weiss, ob sie als männlich oder weiblich „gelesen“ werden wollen. Ein „he“ oder „she“ aufgrund des Äusseren könnte ja als Diskriminierung wahrgenommen werden. So die Wahrnehmung.

Und Trump lässt sich den Mund nicht verbieten. Themen wie Migration oder Transgenderrechte lassen mich gleich vorsichtig werden. Darf ich das wirklich schreiben? Kann ich das wirklich schreiben? Das Internet vergisst nicht. Ich hoffe, dass es klar genug rüberkommt, dass ich nie im Leben Trump oder Republikaner wählen würde. Herrlich. Genau dieser Satz zeigt doch das Problem. Ich glaube, mich nur schon dafür rechtfertigen zu müssen, dass ich nicht einfach die (vor allem in Europa vorherrschende) „Mainstream-Meinung“ wiedergebe. Dass ich nicht einfach Trump und die Republikaner verdamme, obwohl mir ein grosser Teil derer Meinungen regelrecht absurd und absolut falsch und nicht nachvollziehbar erscheint, ich mich jahrelang mit Kreationismus und rechtspopulistischen Spinnereien auseinander gesetzt habe. Sondern Erklärungen für deren Erfolge suche. Und Punkte, die mich bei den Demokraten, bei den Linken verzweifeln lassen. Schon das alleine genügt für das Gefühl, mich erklären zu müssen. Könnte ja jemand falsch verstehen. Cancel Culture. Angst.

Und ich glaube, dass das ein Grund dafür ist, dass das Rennen doch wieder knapp wird. Im Moment mit Vorteil für Trump. Trotz der Swifties. Eine Mehrheit der Amerikaner mag Trump nicht. Aber eine Mehrheit der Amerikaner mag Harris erst recht nicht. Weil sie zu sehr zum „woken“ Amerika gezählt wird, zu einem Amerika, das in deren Augen die Schwerpunkte falsch setzt und einem das Leben schwer macht. Sobald man sich zu gewissen Themen äussert, muss man sich dafür rechtfertigen. Oder sagt besser nichts. Und Trump kümmert sich nicht drum.

Vielleicht prototypisch für diese Thematik ist der „Witz“ eines Comedians an einer Wahlveranstaltung Trumps in New York. Ja, der Witz mit den Puerto Ricanern. Er war geschmacklos. Rassistisch. Böse. Widerlich. Was auch immer. Es hat ihm hoffentlich entscheidende Stimmen bei Puerto Ricanern und Latinos gekostet. Vielleicht aber auch nicht. Weil zu viele, vielleicht gerade auch Latinos sich letztlich sagen: der Witz war doof, aber wir wollen uns solche Sprüche nicht verbieten lassen. Wir haben genug von „political correctness“.

Ich versuche zu einem Schluss zu kommen. In den USA scheinen sich zwei Lager gebildet zu haben. Das politisch korrekte demokratische und das pragmatisch „primitive“ republikanische. Diese Darstellung ist aber falsch. Die meisten Menschen sehen beide Lager kritisch. Sind nicht für Trump, aber sehen sich auch nicht imstande, Harris zu wählen. Oder kümmern sich eh nicht um Politik. Denn die da oben in Washington machen eh, was sie wollen. Betrifft ihr Leben kaum. In meinen Augen ist das ein fatales Missverständnis. Ich erachte Trump als Gefahr für die Demokratie und damit als unwählbar. Vielleicht ist das zu vielen Menschen in den USA nicht bewusst. Ich verstehe aber auch, warum es vielen Menschen widerstrebt, Demokraten zu wählen. Und Alternativen dazu gibt es leider kaum.

Zurück im Zimmer. Das Hotel ist wirklich cool. Soll sogar mehrstöckige Tunnels beherbergen. Grenzlage. Will ich mir morgen anschauen. Aber ich habe auch unterschrieben, dass es keine Refunds bei vorzeitiger Abreise gibt. Was wohl ab und zu vorkommt. Denn die Musik aus einem „Schuppen“ in der Nähe ist wirklich laut. Ich aber bin müde und habe gute Oropax. Und sollte ich doch schlecht schlafen, so hoffe ich, dass das ein Vorteil für die morgige Nacht ist. Die ich wieder im Zug verbringen werde, diesmal allerdings mit Liege.

Ein Gedanke zu „Tag 108 Mauer“

  1. Lieber Herr R

    Wieder mal ein Signal von mir!

    Haben Sie Dank für diesen interessanten Einblick aus dem Süden der USA. Ich bin gespannt, wie Sie den morgigen Tag erleben werden. Sehr wahrscheinlich ganz normal, weil eine Grosszahl der Stimmen sowieso brieflich eingereicht wurden. Und die Auszählung bekanntlich lange dauert. Von dem her wünsche ich Ihnen spannende Tage.

    Und jetzt möchte ich etwas ansprechen, das bitte nicht im falschen Hals steckenbleibt.

    Ich fragte mich bei Ihren Einschätzungen schon des Öfteren, woher Sie das wissen. So auch bei diesem Beitrag. Sie stellten bisher schon mehrere Vermutungen — bspw. über Gründe Trump zu wählen — an, jeder einzelne passte gut ins Argument und wirkte plausibel. Nur: Woher wissen Sie all das?

    Ich schreibe jetzt den bösesten Satz, aber kann man solche Mutmassungen oder Annahmen nicht auch von zuhause aus schreiben? Muss man dafür in den USA verweilen?

    Ich glaube, ich kritisiere Sie unfair, da Sie zu keinster Zeit je den Anspruch auf einen journalistischen Ethos gemacht hatten. Gleichwohl haben Bro und ich schon so viele Beiträge lesen dürfen, die eben diese Qualitäten zum Vorschein bringen liessen.

    Diese Worte erreichen Sie mit freundschaftlicher Liebe.

    Mr. Abrakadabra

    Ah, noch was: Trump gewinnt, Musk hat im Hintergrund alles mit Putin vorbereitet, der Krieg in der Ukraine endet am dreijährigen Jahrestag des Überfalls.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert