Ja, ich hatte es mir lange überlegt, ob ich reklamieren soll. Habe es dann getan wie an Tag 140 beschrieben. Nun sitze ich im schlechten Apartment, warte auf die Message, dass das neue, eigentlich Gebuchte bereit ist und hoffe, dass ich nicht ewig warten muss. Es ist nervenaufreibend, unangenehm, Gefühle, die ich womöglich hätte vermeiden können, hätte ich nicht reklamiert. Und ich sässe jetzt nicht hier, sondern wäre irgendwo unterwegs. Und würde mich womöglich nerven, dass ich nicht reklamiert habe.
Ich sitze vor dem neuen Apartment. Es ist wunderbar. Nicht das Apartment, das ist bis auf den Teppich eher noch schlechter. Kleiner. Verwinkelt. Aber ist dieser Ausblick nicht herrlich? Definitiv ruhiger und eindeutig Little Havana. In Havana fehlte es schon vor ein paar Jahren als ich dort war an fast allem. Aber Hühner hatte es. Eier gab es genug. Ich konnte per Zufall sogar eine Art Hühnerfarm in der Innenstadt besuchen. Und hat doch was. Wenn plötzlich eine Familie Hühner die Strasse überquert.
Gestern in Miami Beach versuchte dieser Kerl dasselbe.
Direkt vor einem fetten SUV überquerte er die Strasse. Natürlich bei grün, so dass nichts geschah. Gleichwohl versuchte ich den SUV Fahrer darauf aufmerksam zu machen nicht loszufahren, falls das Licht wechselt. Der hielt mich glaub für bekloppt. Denn der sah das schöne Tier am Boden ja nicht. Zwei Kilometer hohe Motorhaube. Das Tier direkt vor den Rädern.
Ja, ich bin in Lateinamerika angekommen. Anderes Lebensgefühl. Andere Kultur. Kulturschock. Auch beim Apartment. Ich bin mir inzwischen sicher, sie hat es gut gemeint. Es gab ein Problem mit dem gebuchten Apartment und sie hat mir ein grösseres zugeteilt. Und nichts vom fleckigen Teppich gewusst. Lage war gut, einfach wirklich unangenehm laut. Direkt an einer vielbefahrenen Kreuzung und Lärmschutz gibt es hier eh nicht. Aber entweder hat sie sich dumm gestellt oder mich gleichwohl verarscht…
Der Teppich. Sie bot mir gestern Abend sogar an, den Teppich noch am Abend putzen zu lassen, was dann aber nicht klappte (und ich nicht wollte). Um 10 Uhr am nächsten Morgen dann die Message, dass um 10:30 der Reinigungsdienst komme und ich bitte öffnen solle. Ich bin aber grad in einem anderen Stadtviertel, habe ein köstliches Baguettesandwich verspeist. Ernsthaft? Ich soll jetzt den Türöffner spielen, obwohl mich der Teppich ja nicht mehr kümmert, da ich „umziehe.“ Aber ich bin auch ein wenig neugierig. Geschichten. Und habe nicht wirklich was zu tun.
Es klopft. Zwei Herren. Begutachten den Teppich. Fünf Minuten später klopfen sie nochmals. Begutachten die Wände. Ah. Sind zuständig für das Haus. 20 Minuten später klopft es erneut. Die Reinigungslady. „Checkout“. Ich: nein. Mir wurde soeben mitgeteilt, dass ich noch hier bleiben kann. Leider spricht sie nur Spanisch und mein Spanisch hat sich verabschiedet. Ich kann kein Wort mehr sprechen, verstehen tue ich manchmal ein Wort. Sie beginnt das Zimmer auszuräumen, ich werde etwas ruppig, was soll das? Bis ich realisiere: sie wollen den Teppich reinigen.
Erfolgreich. Dass das aber erst jetzt getan wurde, ich fasse es nicht. So etwas vermieten die? Und niemand merkt es? Ich hange noch etwas rum, es wird 12, nun soll das neue Apartment fertig sein. Um Viertel nach rufe ich an. Sie nimmt nicht ab, chattet aber sogleich. Ist definitiv sehr genervt. Kommt dann mit dem Vorschlag, dass ich ja mein Gepäck schon mal rüberbringen könne. Mache ich, klappt. Um 3 (statt wie versprochen um 12) kriege ich dann auch den Türcode. Was OK ist, weil ich ja inzwischen eh in einem wunderbaren fast versaillesartigen Park abhange.
Im Endeffekt fühle ich mich dennoch gnadenlos verarscht. Schäbige Wohnung, Türöffner für eine Renovation, die ich zwar angestossen habe, mir aber nichts mehr bringt, Wohnungswechsel, der ungut klappt. Da hätte ich ja den Rucksack einfach bis 5 im alten Apartement lassen können, den Tag irgendwie verbringen und dann zügeln. Aber sie sprach immer von 12. Was im Nachhinein keinen Sinn macht.
Ich vermute kulturelle Unterschiede, die zu vielen Missverständnissen geführt haben. Aber was solls, gehört auch zum Reysen, macht vielleicht sogar das Reysen aus. Geschichten. Erfahrungen. Manchmal mühsam, manchmal toll und liesse ich mich nicht so stressen, es wäre alles gut.
Und gut waren sie. OK. Das kommt jetzt nicht rüber. Gut waren sie. Sie da. Da oben. Die zwei. Ich besuche am Nachmittag einen wunderbaren Garten. Ein Herrenhaus. Zufallstreffer. Sehr entspannend, es geht mir gut. Der Vorteil von stressigen Ereignissen wie jenen um die Wohnung ist, dass man entspannen kann, wenn es vorbei ist. Ist für mich manchmal ein wenig wie ein Gewitter. Danach ist der Geist ruhiger. Und im Herrenhaus ertönen plötzlich Opernstimmen. Von ihnen. Denen da oben. Auf der Foto. Gewaltig. Für den Abend wird eine Hochzeit vorbereitet, vielleicht hat es damit zu tun. Die beiden sind auf jeden Fall der Hammer. Voluminös, kräftiges Duett in ungewohnter Atmosphäre. Gefällt nicht nur mir.
Die Security hat allerdings nicht so Freude. Verweisen sie nachher nach draussen. Wegen möglicher Schäden von drängelnden Leuten. Verständlich. Gleichwohl war die Guerillaveranstaltung sehr, sehr cool.
Und allmählich realisiere ich, dass ich ja nun den amerikanischen Kontinent zweimal mit dem Velo durchquert habe. Bin wieder am Atlantik, wo ich gestern am Sandstrand rumgelümmelt bin.
Und ja, es ist Art Basel Miami. Deshalb die Installation. Habe heute ein Ticket für morgen gekauft. Keine Ahnung, was mich da erwartet. Aber nur wegen der Art Basel bin ich ja in diesem Apartment gelandet, weil alles andere ausgebucht war. Da muss ich schon mal noch vorbeischauen. Und werde wohl noch ein paar Tage anhängen. Die Vorstellung jetzt gleich sofort weiter nach Südamerika zu reysen ist mir zu viel. Noch eine Woche hier vielleicht. Und ab Montag gibt es – Dutzende gute und günstige Airbnbs. An bester Lage. Und insofern folgt, was hier folgen muss: Fortsetzung folgt.
Nachtrag zu Tag 139:1. Herr ich müsste jetzt nachschauen, weil sich so viele Männer mit unterschiedlichen Namen hier melden: Vertrieben wurde ich, weil ich Sitzplatz 9b hatte, mir aber zu gut war, diesen zu besetzen. Was in der Regel kein Problem ist, weil eh alle auf irgendeinem Sitz sitzen. Und so setzte ich mich vorerst auf den erstbesten freien Doppelsitz. Dann kam ein Mann mit Kleinkind, setzte sich auf die andere Seite des Gangs. Ich schlechtes Gewissen und biete ihm den Doppelsitz an. Beim nächsten Halt kapere ich den nächsten freien Doppelsitz. Beim nächsten Halt steigen zwei Herren zu, die den Doppelsitz für sich beanspruchen. Reservation. Ich setze mich auf Platz 10b, neben eine junge, hübsche, wohl etwas naive Lady. 26 Jahre jung, sympathisches Lachen. Und als der Mann von 9a aussteigt, setzte ich mich auf 9b und habe wieder einen Doppelsitz, nun aber „meinen“. Und genau in dem Moment steigt ein Herr zu, der wohl noch nie im Wald gelebt hat, dessen Handy nicht bei der Polizei ist und der eine junge Lady verführen wird, die nun entweder glücklich oder unglücklich ist. Ich befürchte Letzteres. Faszinierend war es aber auf jeden Fall.
Und Sie haben natürlich recht. Werter Herr. Wieder mal ein Buch lesen. Oder so. Am Strand. Im Park. Im Cafe mit den feinen Baguettes und Hängestühlen. Zusammen mit Herrn Sunnysideup, der bloss leider grad auf der anderen Seite des Atlantiks mit vielen Herausforderungen konfrontiert ist. Hat zwei junge Mädels. Süss. Aber manchmal auch ein wenig Dings.
Ich hänge noch ein paar Tage an. Herr Sunnysideup, Sie sind eingeladen. Auf ein Mittagessen in Miami Beach. Gerne an einem noblen Ort. Die Maximalausstattung des Tiguan will ich schon noch erreichen. Passt schon. Und bleibt schon noch genügend Zeit für Pinochet und Milei. Ach und noch dazu. Heute einen Artikel gelesen: Griechenland nach der liberalen Rosskur auf Wachstumspfad. Frankreich wiederum am Abkacken. Kohl soll mal gesagt haben, ab 50 Prozent Staatsquote ist Sozialismus. Faktisch sind alle europäischen Staaten leicht über oder unter diesem Wert. Nix Neoliberalismus. Einfach nicht. Ob der Lobhudel auf Milei in der NZZ berechtigt war, lässt sich wohl noch nicht sagen, die Transformationsphase muss aber auf jeden Fall die Hölle sein. So Gott will, werde ich dieser Frage nachgehen, wenn ich mich auf den Weg mache, den amerikanischen Kontinent ein drittes Mal, dieses Mal wieder von West nach Ost zu durchqueren. Auf dem Landweg. Und so bleibt mir eigentlich nur noch etwas zu ergänzen: Fortsetzung folgt.
Nicht nerven.
Tief durchatmen.
Es ist nur ein Teppich.
Alles wird gut.
Ich kenne da ein gutes Achtsamkeitstool.
Und auch Achtsamkeitsliteratur:
Joschka Breitner.
DER Achtsamkeits-Coach.
Versuche es einmal.
„Wenn wir Dinge beobachten, ohne sie zu bewerten, können wir ihnen das Negative nehmen. Wenn wir hingegen Dingen, die wir beobachten, etwas Wohlwollendes unterstellen, können wir sie sogar in etwas Positives wenden.“
Z.B. der Teppich.
Oder die „gnadenlose Verarschung“.
Interpretiere den Text – mit Achtsamkeit – so wie du möchtest.
Das ist die Stärke, von solchen Texten: sie passen oder werden passend gemacht (alte Handwerkerweisheit).
Quelle: Karsten Dusse – Achtsam morden.
Tief durchatmen.