Ich sitze in meiner kleinen, simplen Wohnung mit unfassbar schöner Aussicht. Es windet stark, hat Wolken, was der Aussicht weitere Struktur gibt, paradiesisch. Ein Ort, um mal innezuhalten, um einfach dazusitzen, zu lesen und endlich den Artikel zur Colonia Dignidad zu schreiben. So der Plan. Leider entwickle ich aber einen schlimmen allergischen Schnupfen. Normalerweise seuche ich mich einfach durch, heute entscheide ich mich dazu eine Tablette zu nehmen, die garantiert nicht müde macht. Vermutlich ist es der Nocebo Effekt und ich habe (wie so oft) wunderbare Träume an die ich mich aber nicht mehr erinnere, ausser dass sie wunderbar gewesen sind. Auch so geht der Nachmittag vorbei.
Am Morgen ging ich noch einkaufen. Da die Läden bislang in Argentinien eher rudimentär sind, gehe ich zum auf Google Maps entdeckten Carrefour. In Kenya gibt es riesige Carrefour Supermärkte, die absolut top sind (nebst den nach meinem Göttibub benannten Naïma Supermärkten), in Namibia stechen die Spar Supermärkte jene in Österreich aus. Der Jumbo (wohl nicht „verwandt“ mit jenem in Europa) in Chile kommt da vielleicht nicht ganz heran, aber beinahe. Der Carrefour in Bariloche – ist schrecklich. Wenig Frischwaren, teure Preise, schlechtes Sortiment. Da habe ich hier schon bessere Läden erlebt, weshalb ich noch in einen „Anonimas“ gehe. Deutlich besser, aber immer noch weit entfernt von den erwähnten Supermärkten. Was damit zu tun haben könnte, dass ich hier nur in einer Provinzstadt bin, bin gespannt auf Buenos Aires.
Und ja, die Preise sind hoch, manchmal sogar absurd hoch. Besonders für Importwarten, was mit der aktuellen politischen Situation zu tun hat. 5 Franken für eine Packung Barilla Teigwaren ist schon heftig. Gewürze kosten bis zu 10 Franken, Salz je nach Darreichungsform über 5 Franken. Die Auswahl an Gemüse ist eher bescheiden, die Qualität noch bescheidener. Und doch werden die Waren gekauft, gibt es Leute, die genügend Geld haben. Oder genügend Touristen. Zu Mittag kaufe ich mir ein Sandwich. Die Person vor mir will ein ähnliches kaufen, schreckt dann aber nach Bekanntgabe des Preises zurück und kauft lieber Empanadas. Ich lasse mich überraschen und zahle 12 Franken für ein reichhaltiges, nicht besonders gut schmeckendes Pouletsandwich.
Ich erwähne diese Beispiele, weil sie etwas über den Zustand eines Landes zeigen können. Mir scheint Chile schon eher wohlhabender zu sein, was sich wie auch schon erwähnt beispielsweise an Autos zeigt, aber auch an deutlich besseren und günstigeren Supermärkten auch in Kleinstädten (z.B. Chillan). In Argentinien sind nicht nur die Autos ärmlicher, älter, verbeulter, sind fast nur günstige Modelle auf den Strassen zu sehen, sondern auch die Supermärkte wirken etwas verwahrlost. Dafür gibt es zumindest in San Martin de los Andes extrem viele extrem gut besuchte Restaurants. Gibt es viele Kunsthandwerksstände und -läden, die offensichtlich überleben können, gibt es kaum sichtbare geschlossene Geschäfte.
Und was ich in Argentinien bislang kaum gesehen habe sind (massenweise) Strassenhändler, die irgenwelche unverkäuflich scheinende Waren zu verkaufen suchen. Es gibt sie. Aber wirklich nur als Randerscheinung. Dies mag wiederum damit zu tun haben, dass ich mich bislang in sehr touristischen Gebieten aufgehalten habe. Auch in Chile habe ich solche vor allem in Valparaiso und Santiago gesehen – dort allerdings in krassem Ausmass.
In Buenos Aires soll es Slums geben, die es meines Wissens in Santiago kaum oder nicht gibt. Aber die massenhafte Armut über die ich in Europa gelesen habe ist bislang nicht sichtbar geworden. Gerne liest man davon, dass rund 50 Prozent aller Argentinier in Armut lebten – solche Zahlen sind allerdings schwer zu interpretieren. Und dass ich bislang kaum Obdachlosigkeit oder absolutes Elend entdeckt habe muss dem nicht zwingend widersprechen. Auch hier wird es spannend sein, Santiago mit Buenos Aires und ev. Montevideo zu vergleichen.
Etwas, was auf jeden Fall einen Hinweis auf Armut gibt ist die Möglichkeit, in Raten zu zahlen. Selbst im Supermarkt sind Listen ausgehängt wie viel Zins man zahlen muss bei Ratenzahlungen. Da kommt man schnell in eine Verschuldungsspirale hinein, deutet aber zugleich auf ein grosses Problem hin. So etwas habe ich sonst noch nirgends auf der Welt gesehen. Die Inflation allerdings ist nicht direkt sichtbar – die Preise sind klar angeschrieben und oftmals auf eine Weise, die eine tägliche oder wöchentliche Änderung zumindest nicht erahnen lassen. Also zum Beispiel mit Bleistift oder leicht zu ändernden Preisschildern. Aber auch hier kann ich mich gut täuschen.
Wirklich ein krasser Unterschied zwischen Chile und Argentinien besteht allerdings im vielleicht wichtigsten Bereich. Wo ich in Chile überall und zwar wirklich (fast) überall Cola Zero in allen Varianten finden konnte, gibt es hier Supermärkte, die führen es nicht. Glaubte ich zuerst. Wollte die Stadt gleich wieder verlassen. Bis ich dann ganz versteckt doch noch ein paar 2 Liter Flaschen gefunden habe. Die paar Flaschen sollten für 2, 3 Tagen reichen, aber ich überlege mir natürlich, ob ich nicht doch mein ganzes Gepäck leere (sind ja keine 30 Tage mehr) und den Rucksack dafür mit Cola Zero fülle. Einfach um sicher zu gehen. Denn mit manchen Dingen – ist nun wirklich nicht zu spassen!
Lieber Herr
Wollen Sie nicht sofort in einen Learjet steigen und zu mir an die Falkengasse, eh -strasse! Ach, was sag ich: Allee!!! kommen und als Südamerika-Korrespondent unterschreiben? Ich, oder die Abonnenten, übernehmen die Kosten.
Wir könnten Ihre Kompetenz, abstrakte Phänomene wie wirtschaftlicher Zustand eines Landes anhand greifbarer alltäglicher Dinge, gut gebrauchen. Leserschwund, alle wandern zu Köppel („wie macht er das nur?“), Sie verstehen.
Eh, ja?