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Noch 24 Tage Blick

Sehr geehrter Herr Greyer.

Vielen Dank für Ihre Einladung, mich mit dem Learjet nach Zürich an die Greyfenallee zu bringen. Wenig erstaunt bin ich allerdings über ihre Unkenntnis – Reyportagen schreiben sich bloss vor Ort und natürlich nicht für ein schmieriges Boulevardblatt wie das Ihrige. Respektive müssen wir da schon noch etwas bessere Konditionen herausarbeiten. Und für die Unterzeichnung eines Vertrags möchte ich Sie wenn schon bitten, hierherzukommen. Eine Reyse lässt sich nicht einfach unterbrechen. Es gibt günstige Linienflüge nach Buenos Aires – ab Madrid. 

Gestern habe ich mit einem Ökonomen gesprochen, der Argentinien als Prä-kommunistisch bezeichnet, zugleich aber auch über die grossen sozialen Unterschiede in Chile gelästert hat. Dass es da schon Superreiche gebe, aber halt nicht in der Innenstadt von Santiago wie ich einst bemerkt hatte. Sondern ausserhalb. Die würden einfach so mir nichts, dir nichts 3 Wochen Skiferien in Aspen machen. Superreich. Klar. Drei Wochen Ferien, dafür nur einen Lada zuhause. Also ich weiss ja nicht. Nein, natürlich keine Frage gibt es in Chile von Bro immer wieder erwähnte Superreiche. Überreiche. Denen das halbe Land gehört. Es gibt verschiedene riesige Privatkonzerne. Davon mitkriegen tue ich ohne Hintergrundwissen aber nichts.

Was mich gleichwohl erstaunt hat ist das Fehlen einer ich nenns mal oberen Mittelschicht oder unteren Oberschicht, die in der Schweiz sehr weit verbreitet ist. Stichwort 3 Wochen Skiferien in Aspen oder ein Luxuswagen >100’000 Franken in der Garage oder ne nette Wohnung. Oder. Nicht Überreich. Aber schon ziemlich Dings, halt. Gibt es viele von in der Schweiz, gab es vor Kurzem noch mehr von um LA herum, gibt es doch einige in vielen armen Ländern. In den Bereichen Chiles, wo ich gereyst bin, habe ich sie nicht entdecken können. Nettes Haus mit Land Rover oder BMW davor als seltenes Maximum.  

In Argentinien habe ich mit mehreren Leuten aus der Kunstbranche gesprochen, die auf jeden Fall zur Mittelschicht gehören. Wohl auch, weil sie nebst dem Kunsthandwerk, das in Argentinien sehr weit verbreitet ist, Wohnungen an Touristen vermieten. Die Kommunisten kommen da definitiv schlechter weg als Liberale, unter Milei habe sich sehr viel verändert, wird mir gesagt, auf den ersten Blick sichtbar ist das nicht. Ausser, dass vieles teuer ist, was ein wenig ein Widerspruch ist, da es Milei ja gelungen ist, die Inflation zu senken. Einem Arbeiter mit Bier und Sandwich in der Mittagspause ist allerdings klar: Milei ist „loco“, „verrückt“. Argentinien habe so viele Reichtümer, Rohstoffe etc. und doch gebe es so grosse Armut, von der wohl auch er betroffen ist.  Ich kann seine Wut, seinen Frust, wohl auch seine Angst sehr gut verstehen. Bin aber weiter der Ansicht, dass Milei der falsche Adressat ist. Auch der Ökonom war dieser Ansicht, dass in Argentinien vor allem in Bezug auf den Staat jeder für sich schaue. Ich erwähne das Beispiel Griechenland, wo alle versucht haben, Steuern zu minimieren und zugleich möglichst stark vom Staat zu profitieren. Es ist in Argentinien wohl ähnlich (gewesen), allerdings fällt auf, dass anders als in Griechenland stets Quittungen gedruckt werden. Gleichwohl soll es eine grosse Schattenwirtschaft haben, sollen also die offiziellen Zahlen nicht wirklich aussagekräftig sein. Milei versucht gegen den dysfunktionalen Staat vorzugehen – ob das Experiment gelingen wird, ist allerdings alles andere als klar. 

Beispiele für problematische Regierungsführung findet man hier zuhauf. Es erinnert mich an Südeuropa, wo manches Dorf ein grösseres Ratshaus besitzt als das Capitol in Washington… In San Antonio Oeste gibt es verschiedene Promenaden mit vielen Strassenlaternen. Vielleicht hat das ja mit der südlichen Lage zu tun und dass es im Winter nur selten hell ist. Für mich aber doch ein Kontrast dazu, dass die meisten Strassen nicht asphaltiert sind. Ein Schild weist auf die Neugestaltung einer Uferpromenade hin. Politiker wollen sich damit ein Denkmal setzen. Und vermutlich hat der Schwager ein Unternehmen für Strassenbeleuchtung. 

Fast wie in Kuba… Fahren noch…

Auf dem Weg nach San Antonio Oeste fahren wir (im Zug) an einem kleinen, recht arm wirkenden Dorf vorbei. Mittendrin hat es aber eine fast schon absurd wirkende, schicke Promenade (mit Laternen…) und ein luxuriöses Schwimmbad. Mehrere, allerdings unfassbar unattraktive Spielplätze. Wirkt auf mich so als ob hier jeweils der lokale Imperator sich ein Wahrzeichen setzen wollte. Steuergeldverschwendung. 

In Argentinien ist alles und nichts geregelt. Auch das ist typisch. Der Staat organisiert schon alles, aber keiner hält sich wirklich daran. Die Menschen sind maximal distanziert von der Politik und leben von Tag zu Tag. Langfristiges Planen ist kaum möglich, da sich die Umstände (und insbesondere auch die Preise) sehr schnell ändern können. Auch ein Grund, habe ich mal gelesen, dass Restaurants und Bars gut besucht sind. Man lebt im Moment, denn Sparen wird durch die Inflation unmöglich. Das Geld wird zu schnell entwertet. 

War definitiv mal Gegenverkehr. Jetzt Einbahn, trotz separater Spuren. Ergibt es Sinn? Wohl kaum. Der ganze Ort ist oft Einbahn, aber nicht immer. Und kaum ausgeschildert. Man erkennts daran wie die Autos am Strassenrand geparkt sind…

Vermutlich ein gutes Bespiel für sinnlose Regeln wird mir heute bewusst. Nach einer langen Übernachtszugfahrt habe ich Durst. Richtig Durst. Und es hat einen Anonimas-Supermarkt im Dorf. Weil ich inzwischen gelernt habe, dass Argentinier sehr easy drauf sind, bin ich erst um 5 nach 8 vor der Tür und nicht mit dem Fuss scharrend wie ein Rentner um 2 vor 8. Der Laden ist noch geschlossen. Klar. Ich drehe eine Runde, 10 Minuten später warten immerhin auch ein paar andere Leute vor dem Laden. Scheint also doch ungewohnt zu sein. Um 20 nach geht der Laden dann auf. Supermarkt, Grösse MM.

Ich benötige sicher 10 Minuten und inspiziere jeden Kühlschrank genauestens und mindestens zweifach, aber nein, es hat keine gekühlte Cola Zero. So nehme ich die einzige Cola in einer Dose (will keinen halben Liter) und nehme noch zwei Flaschen Wasser für die heutige Busreise mit. An der Kasse werde ich nach meiner Kundennummer gefragt. No. Habe ich nicht. Danach werde ich aufgefordert, den Ausweis zu zeigen. Ich bin grad mal nicht in Protestlaune und zeige ihn. Nein, ich habe keinen Whisky zur Cola aufs Band gelegt, also Altersprüfung. Gibts auch in Chile manchmal Argentinien weiss ich gar nicht. Sondern ich habe wirklich zwei Wasser und eine Cola aufs Band gelegt. Punkt. Plötzlich sehe ich meinen Namen auf dem Bildschirm, hat er wohl abgetippt und der Kassierer fragt den Supervisor um Hilfe: wie kann er meine ID Nummer in die Maske eingeben? Er gibt irgendeine gekürzte Nummer ein (ohne Buchstaben) – und ergänzt diese dann auf demjenigen von vielen Belegen, den er für sich behält. Irr.

Erst draussen erinnere ich mich, dass ich beim Self Checkout bei derselben Ladenkette die ID Nummer eingeben musste – in Bariloche nicht, aber da hat die Kassiererin wohl einfach eine Fantasiezahl eingegeben. Liegt das etwa an La Anónima, der Supermarktkette? Ich gehe in einen Carrefour, die Jungs vor mir gegen erst die Kundennummer an, dann die Nummer der ID. Tatsächlich. Wie irr ist das. Bei jedem Einkauf muss man die ID-Nummer eingeben. Allerdings nur bei Supermärkten. Nicht in kleinen Geschäften. Tönt nach einer absolut sinnlosen staatlichen Regel. Zum Einen: was geschieht mit den Datensätzen? Zum anderen: man kann irgendeine Nummer eingeben, das interessiert eh keinen. Das ist der Grund, warum mir das erst jetzt bewusst geworden ist, die Dame an der Kasse im Carrefour hat einfach 3333333 eingegeben. Ich bin mir ziemlich sicher, es ist eine staatliche Vorschrift (alles ist geregelt), die aber niemand wirklich überprüft (nichts ist geregelt). Wobei die Regel, sollte sie denn wirklich existieren wirklich direkt an Diktatur und Sozialismus erinnert: der Staat muss wissen, wenn jemand Babywindeln einkauft…

Ach und Herr Greyer. Blick. Natürlich nicht. Wären Sie wenigstens von der NZZ. Das würde mich dann schon eher interessieren. So was Rechtes. Aber die ist ja im Seefeld beheimatet und nicht an der, ähm, wie war nochmals die Adresse? Greyfenallee? Oder, ach, habs vergessen!

Nachtrag: Alles falsch. Die ID wird abgefragt, um Kreditkartendiebstahl zu unterbinden. Name auf Karte muss Name auf ID matchen. Warum ich dann aber zahlen konnte mit der 3333333? Vielleicht ist das der geheime Geheimcode, um das System zu brechen?

Ergänzung zum Nachtrag: Es wird wohl schlicht überall anders gehandhabt. Heute im L’Anónima: die Person vor mir an der Kasse muss die ID zeigen. Ich zahle bewusst mit Apple Pay, da soll die ID-Abfrage nicht gelten. Die Kasserierin tippt dann 1234567 ein… Bleibt alles ein wenig mysteriös.

P.S. Herr Greyer/Gujer hat sich in einem Kommentar gemeldet gehabt.

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