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Noch 16 Tage Buenos Aires

Wüsste ich es nicht, würde ich definitiv nicht erstaunt reagieren, wenn mir jemand sagen würde, ich befände mich in Spanien. Buenos Aires ist europäischer als Santiago de Chile – und die Armut bleibt grösstenteils unsichtbar. Keine Strassenhändler wie in Chile, bislang keine Obdachlosen, ganz wenige Bettler, heute habe ich doch zwei, drei Leute Müll durchwühlen sehen. Wenn ich da an Berlin zurückdenke…

Das heisst natürlich nicht, dass es in Argentinien keine Armut gibt. Habe ich schon oft erwähnt. Auf Google Earth habe ich auch Slums gefunden, für mich vor allem spannend ist der Vergleich. Letzthin gab es im Tages Anzeiger dazu eine spannende Grafik. Von 1960 bis Mitte 80er Jahre war Chile sehr arm, gab es in Bezug auf das BIP pro Kopf nur relativ leichte Schwankungen. Seit da aber wächst die Wirtschaft kontinuierlich und stabil. Argentinien war 1960 auf einem deutlich höheren Level als Chile. Seit etwas 2010 stagniert Argentinien aber und hat Chile Argentinien überholt.

Argentinien ist also nicht einfach extrem arm. Das Problem ist, dass es im 19. Jahrhundert zu den Top Ten der Welt gehörte und seit 1950 mit einer Ausnahme Anfang 90er Jahre wirtschaftlich nur abstieg. Heute steht es in Bezug auf das BIP pro Kopf weltweit an Stelle 67. Deutlich vor Brasilien und klar hinter Uruguay. Wobei ich nicht weiss, ob hier die grosse Schattenwirtschaft einbezogen ist. Dieser wirtschaftliche Abstieg ist aber ebenfalls nicht so wirklich spürbar.

Ein seltenes Bild in Palermo, Buenos Aires: Menschen, die im Müll wühlen und das Gefundene im Kinderwagen transportieren

Als ich Ende der 1990er Jahre in Venezuela war, war der Abstieg sehr sichtbar. Venezuela hatte seine beste Zeit hinter sich. Herrschaftliche Gebäude, die heruntergekommen wirkten. In Buenos Aires hingegen: viele gepflegte Parks, kaum Müll in den Strassen, nette Kneipen an jeder Strassenecke, kleine Läden, eine pulsierend wirkende Wirtschaft ohne viele leere Geschäfte, viele Autos, Velos, Velowege in deutlich besserem Zustand als jene in Santiago. Ich war ja schon Fan von Santiago gewesen, Buenos könnte es noch schlagen. Noch habe ich wenig von der Stadt gesehen und befinde ich mich zugegebenermassen in einem besseren Stadtviertel. Aber die Stadt überrascht mich auf jeden Fall sehr positiv.

Die Strassenhändler in Santiago machen die Stadt lebendig, es hat etwas Attraktives, für die betroffenen Menschen muss das Leben aber sehr hart sein. Das Zentrum ist völlig überbevölkert von Menschen, die offensichtlich von den Aussenquartieren hierherkommen, um etwas zu verkaufen. Vielleicht ein Grund, warum 2019 wegen der Erhöhung der Metrogebühren um 30 Cent ein Aufstand ausbrach. Buenos Aires wirkt da eben viel europäischer. Zumindest im Stadtviertel Palermo keine Strassenhändler, deutlich weniger Menschen und eben, kaum sichtbare Armut. Vielleicht bleiben die Armen in den Slums, ich kenne die Antwort nicht. Und natürlich mag die Situation auf dem Land nochmals anders sein.

Imposant in Buenos Aires sind auf jeden Fall die Parks. Auch Santiago hat viele Parks, die auch gut genutzt sind. Aber oft schon etwas verwahrlost wirken. Zumindest die Parks im Viertel Palermo in Buenos Aires sind dagegen sehr gut gepflegt, einladend. Dass ich vielleicht doch nicht gar so viel Zeit in ihnen verbringen werde, hat voraussichtlich zwei Gründe: es ist heiss und meine Wohnung ist wirklich äusserst attraktiv. Ich geniesse es im Moment sehr, viel Zeit vor mir zu haben. Nicht wie sonst sofort den Druck zu verspüren, möglichst rasch alles erkunden zu müssen, denn schliesslich habe ich ja Zeit. Und viel zu tun. Schliesslich soll das Leben in drei Wochen wieder im Normalzustand weitergehen, das will durchaus vorbereitet sein.

Ach und genau, grad passend, Herr Bürokollege: Nein, Pinguine stinken doch nicht, die sind ja immer im Wasser. Wobei. Ich erinnere mich an Namibia. Wo wir irgendwelche Seelöwen oder so anschauen gingen. Es stank bestialisch. Zum Einen, weil diese Viecher ganz schlimm stinken. Aber auch, weil Dutzende Jungtiere durch adulte Tiere plattgedrückt wurden und tot dalagen…

Nachtrag: Vielleicht stand ich ja grad im Jumbo. Die Marke gibts auch in Chile, der Laden in Palermo ist aber deutlich besser. Endlich frisches Gemüse, eine Käseplatte für 30 Franken, OK. Vielleicht ist das der Grund, dass es wenig Leute hat: zu teuer. Aber um den Jumbo geht es gar nicht in diesem Nachtrag. Sondern um mein unverschämtes „Trinkgeld“ für die Gepäckboys von vor Kurzem. 10’000 statt 1’000. Ja. Natürlich ein Scam. Ich hätte warten können bis alle ihr Gepäck verstaut hatten. Dann hätte der auch 9’000 zurückgeben können. Was für ein absoluter Reisebanause bin ich denn. Genau vor solchen Praktiken warnt mich ein Youtube-Video, das ich heute sehe. Vielleicht hat sich meine Einschätzung hierzu in Bosnien geändert.

Ich war in Mostar, eine unglaublich attraktive Stadt. Ich durchstreife sie frühmorgens. Ein Typ drängt sich mir auf. Will mir die Stadt zeigen. Spricht sogar ein wenig Deutsch. Wir machen keinen Preis ab, wird schon nicht zu teuer sein. Nach einer kurzen, aber spannenden Führung verlangt er 30 Euro. 60 Euro Stundenlohn. Was soll das? Er spricht über Medikamente, die er benötigt wegen Kriegsfolgen (nachvollziehbar), über Windeln für das Kleinkind, die unglaublich teuer sind. Ich schlage im Nachhinein die Preise nach. Und realisiere, dass er mit ein paar Führungen pro Woche seine Lebenshaltungskosten nicht finanzieren kann. Ich habe ihm wenigstens eine kleine Verschnaufpause gebracht. Oder hat er gar kein Kind?

Der Unterschied zwischen Verarschtwerden und Menschen kommen wirklich kaum über die Runden ist klein. Ich entscheide mich seitdem oft für die Gefahr des Verarschtwerdens. In der Überzeugung, dass die wenigsten Menschen in dieser Situation sich danach ins Fäustchen lachen, ihren Ferrari hervorholen und diabolisch über meine Dummheit lachen. Sondern – vielleicht sogar in guter Stimmung – in ihre Einzimmerwohnung gehen, mit einer Packung Windeln und von mir aus einer Flasche Alkohol oder Packung Zigaretten. Und es leider doch nicht gereicht hat für eine dritte Mahlzeit für die vierköpfige Familie.

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